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Die größte mitteleur. Knotenameise: Manica rubida
Verfasst:
Donnerstag 19. Juni 2014, 08:42
von Boro
- Geöffnetes Unter-Steinnest am Flussufer: Nacktpuppen aller Reifestadien sind zu sehen
Manica rubida ist die größte heimische Knotenameise. Über die Auswirkung ihres Stachelgiftes gibt es einige Legenden: In der Realität ist der Stich schmerzhaft, aber doch deutlich unter der Schmerzempfindung eines Bienenstiches.
Ihre primären Lebensräume sind wenig bewachsene Uferbereiche von natürlichen Fließgewässern, aber auch Weg- u. Straßenränder, Hanganrisse und Almgebiete bis fast 2000 m Höhe. Sie tritt als Kulturfolger und Pionierart auf Abraumhalden, nach Straßenbauten etc. auf und sie ist im Alpenbereich in den urbanen Bereich vorgedrungen, an die Ränder von versiegelten Flächen. Sogar am Rand von Tennisplätzen taucht sie auf. In allen genannten Vorkommen ist ihr eines gemeinsam: Sie meidet schattige, stärker bewachsene Bereiche sowie dichten Graswuchs.
Ihre Vorkommen an Uferbereichen und am Rand versiegelter Flächen in Ortsgebieten decken sich im alpinen Bereich u. dessen Umland mit dem Vorkommen von den 3 Arten der Formica cinerea-Gruppe. Vor allem Formica fuscocinerea erweist sich auch in den urbanen Bereichen als gefährlicher Konkurrent.
Die Art ernährt sich vorwiegend zoophag, aber auch Trophobiose (sogar auf Bäumen!) konnte nachgewiesen werden. Außerdem konnte ich einige Male das eifrige Eintragen von Samen feststellen (z. B. einer Potentilla sp.). Ob Manica nur die Elaiosomen der eingetragenen Pflanzensamen frisst oder ob auch Granivorie vorliegt, konnte nicht geklärt werden. Erwähnenswert wäre, dass sie z. B. Stückchen frischer Walnüsse in rasch gebildeten "Straßen" ins Nest transportiert und auch vor Ort intensiv beleckt.
Re: Die größte mitteleur. Knotenameise: Manica rubida
Verfasst:
Donnerstag 19. Juni 2014, 10:07
von Boro
Die Nestgründung der Art ist noch immer nicht ganz geklärt: Bisher war man der Ansicht, dass die Gynen zwar in Pleometrose gründen können, nach dem Schlüpfen der Arbeiterinnen jedoch monogyn sind. Inzwischen ist zumindest regional auch Polygynie erkannt worden (pers. Mitt. G. Heller aus D). SEIFERT spicht aber von "ausgedehnten, oligogynen Koloniesystemen, deren Kolonieduft durch permanenten Austausch von Postpharyngealdrüsensekret homogenisiert wird."(S. 193). Diese Systeme sind in geeigneten Gebieten (z. B. im Mündungsdelta von Flüssen) zu beobachten, scheinen aber nicht immer konfliktfrei zu funktionieren: Vor allem austretende Geschlechtstiere des einen Nesteinganges werden von vorbeikommenden Arbeiterinnen eines nahegelegenen Nestes "leicht" attackiert, herumgezogen, herumgezerrt! Möglicherweise hängt mit der Duftangleichung auch der oft zu beobachtende Brutaustausch zw. Neststandorten zusammen, der sich über Tage hinziehen kann. Auch das ständige "Hin- und Herlaufen" der Arbeiterinnen zwischen Nesteingängen lässt kaum eine andere Interpretation zu, weil in diesen Fällen augenscheinlich weder Brut noch Futter transportiert wird.
Ich habe das Gezerre um eine dealate Gyne vor einem Nesteingang der Art eine habe Stunde (!) beobachtet, weil ich nicht erkennen konnte um was es bei diesem Vorfall ging! 2 Bilder zur Veranschaulichung....
Re: Die größte mitteleur. Knotenameise: Manica rubida
Verfasst:
Donnerstag 19. Juni 2014, 20:31
von fink2
Hallo Boro, wirklich wiedereinmal ein sehr Spannender Beitrag von dir.
Manica rubida ist die von mir am meisten beobachtet Art in der Natur. Ich finde sie einfach wunderschön.
Nun zum Thema, ich konnte bei meinen letzten Beobachtungen mehrfach sehen, wie dealate Gyne, mehrfach versuchten in ein Nest ein zu dringen und immer wieder von Arbeiterrinnen heraus gezerrt wurden. Das zog sich über Stunden hin. Ob es sich hier um eine versuchte Adoption handelte, kann ich nicht sagen.
Noch eines zum Stich:
Meine Freundin konnte mehrere Tage, nach einem Sticht nicht ruhig schlafen vor schmerzen. Als ich gestochen wurde, war nach zwei Stunden nichts mehr zu sehen und ich hatte gar keine schmerzen. Da dürften Menschen wohl stark unterschiedlich allergisch reagieren.
Grüße, fink2
Re: Die größte mitteleur. Knotenameise: Manica rubida
Verfasst:
Donnerstag 19. Juni 2014, 22:48
von Phil
Hallo Boro,
Deine Beiträge sind eigentlich der einzige Grund, warum ich hier noch mitlese. Unglaubliche Leistung, dass Du trotz des großen Verlust der ganzen Bilder im Ameisenforum hier wieder fleißig berichtest.
ich halte diese angebliche Oligogynie für einen Mythos. Die wenigen Male in denen ich mit Manica rubida zu tun hatte (vor allem Südtirol), waren die Nester eindeutig polygyn. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich einmal ein großes Nest öffnete, und 6 Königinnen zusammen auf einem Fleck saßen. Ähnliche Beobachtungen haben mir auch andere berichtet (u.a. Frank...)
Grüße, Phil
Re: Die größte mitteleur. Knotenameise: Manica rubida
Verfasst:
Freitag 20. Juni 2014, 09:10
von Merkur
Hallo Phil,
Es ist meiner Meinung nach ziemlich müßig, über Oligogynie bzw. Polygynie bei Manica zu spekulieren, wenn einerseits der reproduktive Zustand der einzelnen Gynen nicht bekannt ist, und andererseits der klare Nachweis fehlt, dass mehrere begattete und fertile Königinnen tatsächlich innerhalb eines Nestes koexistieren, sich jedoch eben nicht begegnen dürfen. - Das sind die Kriterien, nach denen Hölldobler seinerzeit in den 1960er Jahren bei Camponotus die Oligogynie definiert hat.
Zahllose Fälle falscher Anwendung des Begriffs sind in der Literatur zu finden. Manche Autoren verstehen unter Oligogynie "einfach" die Koexistenz von "mehreren", aber "nicht unbegrenzt vielen" Königinnen in einem Nest. Eine Abgrenzung zwischen "mehreren" und "vielen" Königinnen ist unmöglich.
Polygynie ist - ebenfalls seit den 1960er Jahren - definiert als friedliche Koexistenz von zwei oder mehr funktionellen Königinnen in einem Nest.
Für Manica rubida (damals noch: Neomyrma rubida) wurde der Nachweis von (fakultativer) Polygynie in dem leider wenig verbreiteten Buch von G. H. Schmidt veröffentlicht: Buschinger, A. (1974): Mono- und Polygynie in Insektensozietäten. In: G.H. Schmidt: Sozialpolymorphismus bei Insekten, 1974, 862-896, Wiss. Verl. Ges. mbH, Stuttgart. (Manica rubida: S. 877)
Für Ameisenhalter und -liebhaber ist die Vorstellung natürlich ein Graus, dass man ziemlich viele der wertvollen und teuren Königinnen opfern (sezieren) muss um festzustellen, in welchem reproduktiven Zustand sie sich befinden. Für die Wissenschaft ist es es leider unerlässlich. Selbst die Isolierung der einzelnen Gynen eines Volkes und ihre Haltung bis zur evtl. Aufzucht weiblicher Nachkommen ist noch kein Beweis dafür, dass tatsächlich mehrere voll reproduktive Gynen in dem Volk koexistiert haben: Das Beispiel Leptothorax gredleri hat gezeigt, dass diese Art "funktionell monogyn" sein kann, dass also mehrere begattete und potenziell fertile Gynen nebeneinander im Nest leben können: Doch nur eine davon legt auch Eier! Auch dieser Fall ist in dem genannten Buchartikel ausführlich beschrieben. Spätere Arbeiten u.a. von J. Heinze enthalten weitere Details dazu.
MfG,
Merkur
Re: Die größte mitteleur. Knotenameise: Manica rubida
Verfasst:
Freitag 20. Juni 2014, 10:28
von Boro
Hallo Phil!
Schön von dir wieder einmal zu lesen, ich studiere auch deine Beiträge mitunter sehr gerne!
Nun, Polygynie kann man also "von außen" gar nicht eindeutig feststellen. Ich könnte mir vorstellen, dass bei Anwesenheit mehrerer physogastrischer Königinnen (der gleichen Art) in einem Nest Polygynie vorliegt. Aber auch da dürfte die Sache nicht ganz klar sein: Welche Gründungsart liegt vor, wenn das Alpha-Weibchen (sofern es eines gibt) die Eier anderer fertiler Königinnen auffrisst?
Ich kenne das von Polistes dominula, da gründen oft mehrere Weibchen im Frühjahr ihr Nest. Es dürfte sich in diesen Fällen meist um Geschwister handeln, weil sie sich zuerst beim vorjährigen Nest einfinden. Es können aber auch heftige Kämpfe bis zum Tod eines Individuums um den geeigneten Nistplatz geführt werden. Genau so häufig ist nach Rangeleien und Kämpfen die Unterordnung der anderen Gyne(n) unter die Herrschaft des Alpha-Weibchens zu beobachten. In Zukunft bleibt dann das Alpha-Weibchen meist am Nest, während die andere(n) Gyne(n) gleichsam auf den Status einer Arbeiterin herabgestuft ist (sind) und Baumaterial sowie Nahrung herbeischaffen muss (müssen). Der adaptive Vorteil dieses Verhaltens besteht einerseits im besseren Schutz des Alpha-Weibchens und andererseits in der Möglichkeit das Alpha-Weibchen bei einem möglichen Ausscheiden vollwertig zu ersetzen.
Anlässlich meiner unzähligen Beobachtungen von Polistes-Nestern konnte ich in einigen Fällen erkennen, dass (in Abwesenheit des Alpha-Weibchens od. bei dessen "Unaufmerksamkeit") diese "Nebenweibchen" rasch einmal ein Ei in eine Zelle gelegt haben; bei der häufigen Nestkontrolle dauerte es nicht lange, bis das Alpha-Weibchen das Ei entdeckte und sogleich als Nahrung aufnahm. [Da gabs auch einmal einen Bericht im AF]
Ich konnte bei M. rubida Polygynie bisher nicht erkennen, wohl aber pleometrotische Gründungen. Auch die bei SEIFERT erwähnten Superkolonien mit engen sozialen Kontakten der Arbeiterinnen aus nebeneinanderliegenden Nestern und getrennten Königinnen kommen immer wieder vor. Gerhard Heller hat mich schriftlich von entdeckter Polygynie bei Manica im Schwarzwald (so weit ich mich erinnere) informiert. Ich habe damals nicht nachgefragt, inwieweit die echte Polygynie beweisbar wäre.
L.G.
Re: Die größte mitteleur. Knotenameise: Manica rubida
Verfasst:
Freitag 20. Juni 2014, 10:45
von Phil
Zahllose Fälle falscher Anwendung des Begriffs sind in der Literatur zu finden. Manche Autoren verstehen unter Oligogynie "einfach" die Koexistenz von "mehreren", aber "nicht unbegrenzt vielen" Königinnen in einem Nest. Eine Abgrenzung zwischen "mehreren" und "vielen" Königinnen ist unmöglich.
Ok, dann habe ich das zugegebener Maßen auch nicht bedacht. Ob bei den Königinnen tatsächlich alle reproduktiv waren, kann ich natürlich nicht sagen. Unter der Annahme, dass selbst begattete Königinnen in einem Nest mit entwickelten Ovarien Eier einer funktionellen Monogynie unterliegen können, könnte man da nicht grundsätzlich bei vielen weiteren Arten die Polygynie in Frage stellen? Ich habe zwar keinen Überblick über die Literatur, aber mir scheint, dass da kaum nur wenige Arten so intensiv erforscht wurden (mit Ausnahme von den zahlreichen kleineren Myrmicinen denen Sie soviel Aufmerksamkeit gewidmet haben).
Ist es besser, von einem "ja, wahrscheinlich" auszugehen, bis das Gegenteil bewiesen wurde?
Grüße, Phil
Re: Die größte mitteleur. Knotenameise: Manica rubida
Verfasst:
Samstag 21. Juni 2014, 10:55
von Merkur
Polygynie/ Monogynie ist eine äußerst vielschichtige Angelegenheit. Nicht umsonst gibt es ein umfangreiches Buch, herausgegeben von Laurent Keller (Lausanne):
„Queen Number and Sociality in Insects“, 1993 Oxford University Press, 439 S.
Nicht weniger als 30 Wissenschaftler haben darin ihre einschlägigen Kenntnisse und Theorien ausgebreitet, darunter Joan Herbers, Christian Peeters, Jürgen Heinze, Peter Nonacs, Edward O. Wilson, um nur ein paar bekannte Namen zu erwähnen.
Es würde hier, zumal in einem Thread speziell über
Manica rubida, sicher zu weit führen, die Inhalte detailliert zu behandeln, aber ohne Kenntnis solcher Literatur ist es eben schwierig, aktuelle Beobachtungen zu interpretieren.
Boro spricht einige Probleme an:
Nun, Polygynie kann man also "von außen" gar nicht eindeutig feststellen. Ich könnte mir vorstellen, dass bei Anwesenheit mehrerer physogastrischer Königinnen (der gleichen Art) in einem Nest Polygynie vorliegt. Aber auch da dürfte die Sache nicht ganz klar sein: Welche Gründungsart liegt vor, wenn das Alpha-Weibchen (sofern es eines gibt) die Eier anderer fertiler Königinnen auffrisst?
Man kann bei Anwesenheit von mehreren physogastrischen Gynen in einem Volk Polygynie durchaus als wahrscheinlich annehmen. Aber bereits während der Winterruhe oder einer sommerlichen Legepause) ist von Physogastrie oft nicht mehr viel zu sehen.
Oder: Wer hätte früher gedacht, dass unter den zahlreichen fertilen Königinnen etwa bei
Formica polyctena durchaus eine beträchtliche Anzahl von Tieren lebt, deren Spermavorrat aufgebraucht ist, die unbegattet die Eiablage aufgenommen haben, oder deren Receptaculum degeneriertes, verklumptes Sperma enthält? Sie produzieren über die ganze Saison hinweg unbefruchtete Eier, aus denen im Frühjahr, bei passender Ernährungslage (junge Speichertiere vorhanden) Männchen entstehen. Später im Jahr aber schlüpfen männliche Larven, die von den Arbeiterinnen als „zurzeit unbrauchbar“ umgehend gefressen bzw. an andere Larven verfüttert werden.
Das wurde in einer Doktorarbeit in Würzburg geklärt (Ehrhardt 1970 *), und das war mit vertretbarem Aufwand nur durch Präparation zahlloser Gynen aufzuklären.
* Ehrhardt, H.-J.: Die Bedeutung von Königinnen mit steter arrhenotoker Parthenogenese für die Männchenerzeugung in den Staaten von Formica polyctena Förster (Ins. Hym.). Dissertation Würzburg 1970, 106 S. Die Inhalte sind in dem o. g. Buch von G. H. Schmidt 1974 verarbeitet.
MfG,
Merkur
PS: Vielleicht sollten wir einen eigenen Thread zum Thema "Monogynie und Polygynie bei Ameisen" aufmachen und die entsprechenden Diskussionsbeiträge hier in diesen übertragen?
Re: Die größte mitteleur. Knotenameise: Manica rubida
Verfasst:
Mittwoch 17. Dezember 2014, 18:06
von Boro
Manica rubida ist eine schöne Art und wegen der Größe und ihrer relativ geringen Laufgeschwindigkeit leicht zu beobachten. Hier hab ich noch ein paar Fotos:
Re: Die größte mitteleur. Knotenameise: Manica rubida
Verfasst:
Mittwoch 27. Mai 2015, 05:47
von Boro
Sohn Roman berichtet von einem bemerkenswerten Fund v. Manica rubida aus dem Natura 2000-Gebiet Kirchkogel/Pernegg in der Steirmark/Österreich. Manica rubida kommt von den Ufergebieten der Flüsse in den Niederungen bis ins Gebirge auf Almen vor: Überall werden Habitate mit geringer Bodendeckung der Vegetation als Neststandorte gewählt, z. B. Schotter- u. Kiesterrassen längs der Flüsse, Sandbänke in Augebieten, Wegränder und im Gebirge Bereiche mit dürftiger Vegetation und reichlich Steinauflagen. Als Sekundärstandorte im urbanen Bereich sind die Ränder versiegelter Flächen von Wegen, Parkplätzen, Tennisplätzen (!) etc. besiedelt. Langjährige, eigene Beobachtungen haben ergeben, dass sich die Tiere im dichteren Gras unbeholfen und (subjektiv gesehen) ausgesprochen "ungern" bewegen. Dichte, hohe Grasfluren werden vollkommen gemieden.
Jetzt wurden (für mich erstmals) zahlreiche Nester mitten in einem naturbelassenen Halbtrockenrasen mit mehr oder weniger dichter Bodenbedeckung gefunden, nur in wenigen Fällen gab es Unterstein-Nester. Trotzdem scheinen sich die Populationen gut zu entwickeln (sehr gut gelunge Fotos v. Roman Borovsky):
Re: Die größte mitteleur. Knotenameise: Manica rubida
Verfasst:
Mittwoch 27. Mai 2015, 11:49
von Reber
Danke für den Bericht Boro! In der Tat ein aussergewöhnlicher Fundort, besonders wenn die Kolonie schon länger dort lebt bzw. überleben kann. Ich konnte eine junge Kolonie von Manica rubida sogar schon in einem Waldstück entdecken. Ein Sturm bzw. Holzarbeiten hatten dort ein Gelände geschaffen, dass für eine Gründerkönigin wohl ideal aussah. Mittlerweile ist das offene Gelände nahezu gänzlich von Dornen überwuchert und es wachsen wieder neue Bäumchen. Die Manica-Kolonie ist verschwunden. Ganz in der Nähe gibt es eine Tetramorium-Kolonie, die möglichwerweise etwas damitzu tun hat. Das führt für mich zur Frage, ob es Manica möglicherweise gelingt, sich an einem Ort zu halten, wenn die Kolonie sich dort lange genug als "Pionierart" entwickeln konnte (und es an Konkurrenz fehlt). Z.B. auf einer offenen Fläche nach einem Erdrutsch etc, die langsam wieder zuwächst?
Re: Die größte mitteleur. Knotenameise: Manica rubida
Verfasst:
Mittwoch 27. Mai 2015, 12:03
von Aufklärer
Mich erstaunt es ehrlich gesagt etwas, dass sich niemand daran stört, dass Nester in einem Naturschutzgebiet geöffnet wurden. Folgendes ist nämlich im
Ameisenwiki zu lesen:
Ein Naturschutzgebiet darf unter absolut keinen Umständen nach Ameisennestern durchsucht werden! (Abgesehen z. B. von der Erfassung des Artinventars mit behördlicher Ausnahmegenehmigung bzw. in behördlichem Auftrag.)
Das ist nicht nur gesetzlich verboten, es spricht auch Bände darüber, welche Einstellung zur Natur derjenige hat, der sich über diese eigentlich selbstverständliche Vorschrift hinwegsetzt.
Oft sind die einschlägigen Vorschriften und Verbote eigens auf Info-Tafeln an den Eingängen zu NSGs dargelegt. Dort heißt es unter anderem:
- „...keine wildlebenden Tiere stören, fangen oder töten und keine Brut- oder Wohnstätten zerstören.“
Wenn man etwa Steine umdreht, in der Absicht, Ameisen zu finden, zu sammeln oder zu fotografieren, so stört man die Tiere und zerstört unter Umständen deren Nester = Brut- und Wohnstätten. Gleichzeitig stört oder zerstört man auch die Wohnstätten zahlloser anderer Kleintiere. In Myrmica-Nestern gibt es zudem Raupen sehr selten gewordener und "besonders geschützter" Bläulingsarten.
Es ist unter Freiland-Myrmekologen längst bekannt, dass viele Ameisenarten, darunter besonders seltene und gefährdete (!), erst dann unter Steinen siedeln können, wenn diese über mehrere Jahre ungestört an einem Ort liegen. Umdrehen von flachen Steinen, auch wenn man sie sorgfältigst zurück dreht, führt dazu, dass evtl. vorhandene seltene Arten abwandern und möglicherweise zugrunde gehen. Beispiele sind Stenamma spp. und Myrmecina graminicola sowie einige Temnothorax-Arten. Opportunistische Arten wie Lasius niger oder Tapinoma spp. nehmen rasch deren Stelle ein. Ahnungslose "Ameisenfreunde" könnten auf diese Weise ein ehemals artenreiches Gebiet in einen Zustand versetzen, wie er an jedem Feldrain anzutreffen ist. Hierzu liegen sogar Veröffentlichungen vor, z. B. von Gößwald (1951).
Und ich dachte, dass man hier mehr auf Naturschutz achtet...
Re: Die größte mitteleur. Knotenameise: Manica rubida
Verfasst:
Mittwoch 27. Mai 2015, 12:13
von Boro
Wenn die Verbuschung offener Landschaftsbereiche fortschreitet (Sukzession), verschwindet M. rubida; dieses Schicksal teilt sie übrigens mit den 3 Arten der Formica cinerea-Gruppe! Gut besonnte Flächen mit geringem Bewuchs und damit geringer Abschattung sind ideale Lebensräume für diese Arten. M. rubida kann aber durchaus kleinere offene Flächen längere Zeit bewohnen, wie Wegränder, Hangböschungen, Hangaufschlüsse, Rodungsflächen, Abraumhalden usw. Dichter Grasbewuchs reicht bereits (in der Regel) für den Rückzug der Art: Man muss einmal beobachten, wie mühsam sich die Tiere durch dichtes Gras bewegen, kein Vergleich mit den "eleganten" Bewegungen etwa von Formica cunicularia, F. rufibarbis oder Polyergus rufescens u. a. Ich vermute, dass es mit der Anatomie zu tun hat: langgestreckter Körper mit vergleichsweise kürzeren Beinen, ganz abgesehen davon, dass die meisten Schuppenameisen an sich viel beweglicher sind.
Ich hatte Manica rubida vor vielen Jahren längere Zeit in meinem Steingarten, die dazugehörenden Beobachtungen waren aufschlussreich...
L.G.
Re: Die größte mitteleur. Knotenameise: Manica rubida
Verfasst:
Mittwoch 27. Mai 2015, 12:17
von Boro
Lieber Aufklärer!
Selbstverständlich wurde von der Behörde eine für zoologische Exkursionen (einer Universität) gültige Ausnahmegenehmigung eingeholt. Damit war auch das Sammeln von Belegen erlaubt!
Re: Die größte mitteleur. Knotenameise: Manica rubida
Verfasst:
Mittwoch 27. Mai 2015, 12:21
von Aufklärer
Vielen Dank Boro für diese Information.
Immerhin wurden so die Nester auf legale Weise geplündert.
Re: Die größte mitteleur. Knotenameise: Manica rubida
Verfasst:
Mittwoch 27. Mai 2015, 12:29
von Boro
Nein, nein, kein einziges Nest wurde geplündert! Wie bei solchen Anlässen üblich, wurden einzelne Individuen vor Ort nicht bestimmbarer Arten zur späteren Determination mitgenommen; zu deiner Beruhigung: Keine einzige Manica wurde mitgenommen, die ist ja unverwechselbar! Wie du vielleicht noch bemerken wirst (geplanter Bildbericht und zurückliegende Bildberichte) lag das Hauptgewicht der Aktivität (des Sohnes) einedeutig beim Fotografieren!
Da musst du dir um die Erhaltung der Artenvielfalt wirklich keine Sorgen machen.....
L.G.
Re: Die größte mitteleur. Knotenameise: Manica rubida
Verfasst:
Donnerstag 28. Mai 2015, 01:32
von Reber
Vorweg: Ich kann leider nicht ansatzweise so gute Bilder liefern wie Boro und Sohn - sorry. Trotzdem hänge ich an dieser Stelle einige Fotos an um meine Beobachtungen zu bebildern.
Mir ist aufgefallen, dass sich
Manica rubida-Nester in der Regel in unmittelbarer Nähe zu Nestern von
Formica spp.- wohl meist aus der cinerea-Gruppe - befinden. Manchmal liegen die Nestausgänge, wie auf dem Bild, keine 10cm auseinander!
- Kaum 10 cm von einander entfernt: Nestausgänge von Manica rubida und Formica sp.
Trotzdem kommen die Arten im Allgemeinen scheinbar friedlich aneinander vorbei. Die "roten Riesen" fouragieren mehrheitlich einzeln, während die kleiner Grauen Teamarbeit vorziehen. Letzeres scheint sich auszuzahlen. Die Formica mobilisieren schneller und profitieren in Auseinandersetzungen von ihrer zahlenmässigen Überlegenheit. Um grössere Futterquellen kann man dann auch immer wieder Auseinandersetzungen beobachten, die sie für sich entscheiden. Hier im Bild streiten sich gleich drei Arten (Manica, Formica, Myrmica) um die Überreste eines Käfers.
- Mindestens drei Ameisenarten versuchen gleichzeitig den gleichen Käfer auszubeuten.
Hin und wieder kommt es zu grösseren Konflikten, bei dennen ich beobachten konnte, das die Mobilisierung in erster Linie von den Formica ausgeht. Manica scheint diese Angriffe aber nur gerade parieren zu wollen. Das folgende Bild zeigt den "Sturm" von Formica sp. auf einen Manica-Nesteingang. In der Umgebung werden einzelne Manica rubida-Arbeiterinnen von Angreiferinnen gestreckt - doch so klar wie die Sache scheint, kann sie nicht sein. Kaum 50 cm weiter, fouragieren mutmasslich zur gleichen Kolonie gehörende Manica-Arbeiterinnen als ob nichts wäre. Umgekehrt, die Formica-Arbeiterinnen besetzen zwar die Oberfläche um einige Nesteingänge, richtig vorwärts scheinen sie aber nicht zu kommen. Eine Plünderung, einen Sieg o.ä. konnte ich nie beobachten.
- Überfall auf einen Manica rubida Nesteingang.
- Vormarsch aufgehalten?!
- 50 cm weiter: Was kümmerts uns, hier ist der Eingang ja noch frei...
In den Gebieten die ich kenne, bleiben die Neststandorte trotz solcher Kämpfe relativ beständig...
Woran kann das liegen?
Re: Die größte mitteleur. Knotenameise: Manica rubida
Verfasst:
Donnerstag 28. Mai 2015, 10:11
von Boro
Da hast du an sich widersprüchliche Beobachtungen gemacht: Einerseits Koexistenz beider Arten, andererseits Attacken von Arbeiterinnen der cinerea-Gruppe.
Viele Jahre habe ich syntope Vorkommen beider Arten beobachtet, die hier prinzipiell in 2 unterschiedlichen Biotopen auftreten: fluss- und seenbegleitende Aulandschaften und urbane Räume. Im städtischen Bereich gibt es laufend Konflikte, eindeutig einen Verdrängungswettbewerb zugunsten von Serviformica; vor allem entlang von Alleen (Ahorn) duldet Formica fuscocinerea (in urbanen Zonen kommt nur diese Art vor) keinen Konkurrenten: Die Manica-Völker haben auf Dauer keine Chance gegen die zahlenmäßig weit überlegenen Gegner, die (wie du richtig feststellst) die Teamarbeit anwenden. Sie sind zudem viel schneller, beweglicher, rekrutieren enorm rasch und können durch Anwendung chemischer Substanzen sofort Unterstützung anderer, in der Nähe befindlicher Arbeiterinnen, anfordern. In den letzten 20 Jahren ist eine konsequente Zurückdrängung v. Manica festzustellen.
In den oben genannten Uferbereichen konnte ich immer wieder Attacken von F. fuscocinerea auf Manica-Nester beobachten, die mitunter in tagelange Belagerungen ausarten, sodass das Manica-Volk praktisch verhungert. Wagt sich eine der Eingeschlossenen an die Oberfläche, wird sie sofort fixiert, gestreckt und getötet. Vor allem in der Nähe von großen Formica-Nestern oder den (fast) üblichen Superkolonien verschwinden alle Manica-Nester, damit aber nicht genug: Auch Camponotus ligniperdus und C. vagus werden so lange "geärgert", bis sie abziehen. Dazu habe ich viele Fotos gemacht, damals noch mit der Bridge-Kamera und mäßiger Qualität. Formica fuscocinerea versucht ganz offensichtlich auch den "Genickbiss" bei gestreckten Opfern, um deren Leiden "zu verkürzen"(!!!).
HELLRIGL berichtet aus Südtirol von einem "Massaker" an Manica rubida durch F. cinerea [HELLRIGL. K. (2003): Faunistik der Ameisen und Wildbienen Südtirols. Gredlerana Vol. 3)
Ein Trost für die schöne Manica bleibt: Im Gebirge fallen diese aggressiven Feinde weg!
L.G.
(ich suche das Bild mit dem "Genickbiss")
Re: Die größte mitteleur. Knotenameise: Manica rubida
Verfasst:
Donnerstag 28. Mai 2015, 14:40
von Reber
Ich werde die Nester in den nächsten Jahren genauer beobachten müssen um sagen zu können ob auch in unserer Region tatsächlich eine Verdrängung stattfindet! Mich dünkt, dass die beiden Arten seit Kindertagen nebeneinander existieren. Die unterschiedlich grossen "schwarzen und roten" Ameisen sind mir jedenfalls schon damals beim Baden oder Grillieren am selben Fluss aufgefallen.
Wenn ich mich nicht täusche, ist die Ernährung von Manica rubida ja noch nicht wirklich geklärt? Und ich glaube irgendwo gelesen zu haben, dass es möglich wäre, dass die Art unterirdisch Nester von anderen Arten angräbt, denen sie auf der Oberfläche unterlegen ist? Wenn man die grosse Ameisendichte auf den zum Teil Inselartigen, recht kargen Gebieten sieht, kann man sich auch nur schwer vorstellen wie die grossen Kolonien ihren Nahrungsbedarf dort decken können - was allerdings auch für die Serviformica-Arten zutrifft. Obwohl man diese deutlich häufiger beim Eintragen von Futter beobachten kann.
Die größte mitteleur. Knotenameise: Manica rubida
Verfasst:
Donnerstag 28. Mai 2015, 21:56
von Trailandstreet
Ich denke, das ist schwer zu sagen, große Ameisen rennen mitunter doch recht weit um Futter. Siehe auch Camponotus. Und sind können Futtertiere auch noch allein eintragen. Was ich bei Manica aber auch für möglich halte, ist dass sie womöglich auch unterirdisch jagen, zB Engerlinge.
Der Körperbau und der Stachel würden dazu passen.