„Rin in de Kadoffln – raus aus de Kadoffln“, daran muss man denken, wenn man die Flut von Umbenennungen in jüngerer Zeit ansieht.
Unsere bekannte „Stöpselkopfameise“ heißt in Lebas et al. (2019, „Die Ameisen Europas“) „Camponotus truncatus, Untergattung Colobopsis“.
Seifert (2018) führt sie als „Colobopsis truncata“.
Im Seifert (2007) findet sie sich als „Camponotus truncatus“.
Stitz (1939) nennt sie „Camponotus (Colobopsis) truncata“, also eine Untergattung von Camponotus angehörend.
Einst, vor über 200 Jahren (!), war sie von Spinola 1808 als „Formica truncata“ beschrieben worden. (Sie wurde dann zu Recht in die Gattung Camponotus bzw. Colobopsis übertragen):
Kombination in Colobopsis: Mayr, 1861.
Forel (1893) hat sie in Camponotus (Colobopsis) umbenannt.
Usw., usw…
Ward et al. (2016) haben zuletzt die Gattung Colobopsis wieder auferstehen lassen:
https://antwiki.org/wiki/images/5/5e/Wa ... icinae.pdf
Ward, P.S., Blaimer, B.B., Fisher, B.L. 2016. A revised phylogenetic classification of the ant subfamily Formicinae (Hymenoptera: Formicidae), with resurrection of the genera Colobopsis and Dinomyrmex.
Dies ist nur ein Beispiel für viele. Insbesondere die Gruppe um Phil Ward hat ja auch die Myrmicinae durcheinander gewürfelt und bekannte Gattungen von Sozialparasiten in deren Wirtsgattungen integriert. - Hier im AP finden sich ausführliche Diskussionen zu den Umbenennungen von Teleutomyrmex, Anergates, Myrmoxenus, Chalepoxenus etc..
Ich stelle meine gute alte Frage: „Was wissen wir jetzt mehr?“
Oder anders ausgedrückt: Welchen Fortschritt im Wissen über die betroffenen Arten bringen die Umbenennungen, vor allem die jüngeren auf der Basis molekulargenetischer Untersuchungen?
Nichts, Keinen!
Dass die Stöpselkopfameisen sich in wesentlichen Merkmalen von den übrigen Camponotus-Gruppen unterscheiden (es wurden etliche Untergattungen darin beschrieben), haben wir ja schon lange gewusst.
Die Autoren solcher taxonomischer Rundumschläge allerdings haben Vorteile: Je mehr Arten betroffen sind, desto öfter müssen diese Forscher in nachfolgenden Veröffentlichungen zitiert werden. Wichtig ist hauptsächlich, dass ihre Arbeiten, referiert und begutachtet, in führenden Zeitschriften erscheinen. Das ist nützlich für die Karriere, wenn man sich auf höher dotierte Posten bewirbt, denn die „Wiss. Reputation“ wird heute gemessen, u. a. an der Zahl der Zitate, die ein Forscher erreicht, oder der Zahl der „Leser“ seiner Arbeiten und seiner „follower“. Das „Score“, eine Art Punktekonto, bei entsprechenden Organisationen wie „ResearchGate“, das zählt.
Wer sich näher darüber informieren möchte: https://blogs.lse.ac.uk/impactofsocials ... ad-metric/
Ich möchte mir wünschen, dass ein erklärtes Ziel der „Internationalen Nomenklaturregeln“ durchgesetzt wird: Die Stabilität der Namen. Das wäre eine Aufgabe der Internationalen Nomenklaturkommission. Stabilität der Namen von Arten, Gattungen und höheren Kategorien, Schutz vor mutwilligen Umbenennungen aufgrund rigoroser Forderungen nach Anpassung des Systems an die Befunde der Molekulargenetik. Die dürfen gerne belegen, dass die eine oder andere Gattung im traditionellen System paraphyletisch ist, damit könnten wir dennoch gut leben.
Im AntWiki kann man unter „recent changes“ verfolgen, welchen Aufwand hoch qualifizierte Wissenschaftler immer wieder treiben müssen, um dieses Wiki jederzeit aktuell zu machen. Siehe auch die "history" zu Colobopsis truncata
Dabei geht es nicht nur um die eine Art C. truncata: Die Gattung Colobopsis umfasst jetzt 122 Arten! Und die müssen auch in den Listen der Ameisenarten in den einzelnen Ländern ggf. korrigiert werden.
Noch schlimmer dürfte es die Kuratoren von wiss. Sammlungen treffen, die nach solchen Umbenennungen „eigentlich“ die ganzen genadelten Exemplare der betroffenen Arten mit zusätzlichen Etiketten versehen müssten. (Oder abwarten, bis die Umbenennung vielleicht wieder rückgängig gemacht wird?)
Und wer sich für eine bestimmte Art bzw. Gattung interessiert, muss in der Literatur (im Netz) nach allen Namen suchen unter denen über das Taxon publiziert wurde, eben auch nach den „älteren“ Synonymen, denn Gedrucktes lässt sich nicht nachträglich ändern.
Für die Ameisenhalter: Die meisten werden nicht viel von den Umbenennungen mitbekommen. Auch von den Händlern erwarte ich kaum eine Anpassung, zumal man sogar noch die definitiv falsch benannte Camponotus „xiangban“ angeboten bekommt. Sie wurde nie wissenschaftlich unter diesem Namen beschrieben; „xiangban“ ist ein chinesischer Trivialname („wohlriechend“).
Über die nun gültige Bezeichnung „Colobopsis truncata“ findet sich hier ein Thread vom Feb. 2016, der mir jetzt angesichts der Umbenennungen im AntWiki wieder bewusst wurde.
Die hier regelmäßig aktiven User, mich eingeschlossen, betrifft das nicht so sehr. Doch gibt es jüngere Myrmekologen, auch in der wiss. Laufbahn, die hier hereinschauen. An die vor allem ist meine Kritik an den m. E. vielfach unsinnigen Umbenennungen gerichtet. Vielleicht denken sie ebenfalls darüber nach, und vielleicht gibt es mal die/den eine/n oder andere/n, die/der sich in seinen Publikationen dazu äußert?
MfG,
Merkur