Welche Art ist aggressiver?

Welche Art ist aggressiver?

Beitragvon Boro » Mittwoch 9. Juli 2014, 09:25

Wenn der Vater mit Sohn Roman unterwegs ist, gibt es immer irgendetwas Interessantes od. Spannendes zu sehen. Alle kennen Waldameisen und es ist bekannt, dass diese etwa auf Störungen aggressiv reagieren und die Ameisensäure verspritzen. Diesmal ging es um die Bestimmung einer einzelnen Formica s. str., die über den Weg lief. Sie erregte unser Interesse, weil sie nicht gleich zuzuordnen war: Einerseits fehlte der übliche dunkle Fleck am dorsalen Pronotum (u. Mesonotum), dieses Merkmal wäre für Raptiformica durchaus normal, aber die deutliche Gesichtsmaske und das Dunkel auf Hinterkopf und Gaster entsprachen eher Formica s. str. Also schnell aufgenommen - Lupe war leider keine vorhanden - und die Kamera einhändig in Stellung gebracht; der Vater war inzwischen anderweitig beschäftigt.
Die Fotos zeigen, dass der erste Eindruck in Richtung Formica s. str. und gegen Raptiformica richtig war: Der Clypeus-Vorderrand ist nicht eingebuchtet. Also F. rufa od. F. polyctena (in den Niederungen), F. truncatus wurde gar nicht in Betracht gezogen.
Behaarungsmerkmale: Das erste Bild zeigt einzelne Haare am Pronotum, die deutliche Vergrößerung bei Abb. 2 zeigt (zumindest am Original) eine deutliche Behaarung der Pronotum-Oberseite. Daher das Ergebnis: Formica rufa.
Danach ließ der Sohn die (unverletzte) Ameise am Fundort einfach fallen. Womit er nicht rechnen konnte: Eine kleine Lasius cf. niger attackierte die große v. Himmel fallende Ameise sofort! Während die Große die Kleine erledigte, eilten jedoch (sicher durch den Einsatz der Gift- bzw. Alarmsubstanzen angelockt) weitere Lasius cf. niger zum Ort des Geschehens! Und rasch hat sich die Lage geändert: Die Lasius-Arbeiterinnen haben die vergleichsweise riesige Waldameise gestreckt und schließlich getötet.
Gibt es noch Zweifel, warum Lasius niger die erfolgreichste Art in Mitteleuropa ist?
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Welche Formica sp.?
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Behaarung auf dem dorsalen Pronotum, die dunkle Pigmentierung f. Raptiformica zu intensiv!
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Eindeutig keine Einbuchtung am vorderen Clypeusrand
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Nicht mit Lasius cf. niger gerechnet!
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Das Drama nimmt seinen Lauf......
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Re: Welche Art ist aggressiver?

Beitragvon Trailandstreet » Mittwoch 9. Juli 2014, 11:00

Das kann man öfters feststellen, dass gerade die kleineren Spezies die aggressiveren sind. Nicht nur bei Ameisen. Auch bei Wespen und Hornissen ist es so. Meist sind aber dann die kleinen zahlenmäßig doch überlegen.
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Re: Welche Art ist aggressiver?

Beitragvon Reber » Mittwoch 9. Juli 2014, 12:13

Danke für den Bericht. Die Aggressivität und Unerschrockenheit bei Lasius niger ist schon bemerkenswert! Genauso wie ihr lückenloses Teamwork. Und es scheint fast, dass sie bei grösseren Scharmützeln taktisch Vorgehen: Ich konnte oft beobachten, wie sie rund um den Kampfplatz „strategische“ Punkte im Gelände unter ihre Kontrolle bringen, wo sich die Arbeiterinnen in grosser Menge sammeln, z.B. unter Steinen oder Holzstücken. Dann rücken sie Stück für Stück vor. Wenn die Linie ihrer Gegnerinnen (z.B. gelbe Lasius) durcheinander gebracht wird (etwa wenn man einen Stein hebt), ziehen sich diese sofort zurück. Die „schwarzen Teufelchen“ rücken dann ohne zu zögern nach. Umgekehrt sammelt sich L. niger kurz nach einer Störung wieder am selben Ort.

Zusätzlich verschafft die „Anspruchslosigkeit“ bezüglich Habitat, die selbständige, schnelle Gründung, die relative Volksstärke und die Lebensdauer der Königinnen dieser Art weitere gewaltige Vorteile.
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Re: Welche Art ist aggressiver?

Beitragvon Boro » Mittwoch 9. Juli 2014, 16:36

Ja, die Besetzung dieser strategischen Punkte konnte ich schon oft beobachten, sie bilden beim Vorrücken regelrechte "Brückenköpfe", von diesen vorgelagerten Basisstationen rücken sie dann weiter vor. Da steckt zweifellos eine Art von "Strategie" dahinter. Sie sind auch lernfähig, wenn man ihren Vorstoß an einer Stelle durch mechanische Vernichtung zu stoppen versucht, suchen und finden sie einen anderen Weg zum Ziel; wenn man sie bei Tage wiederholt in ihrer Bewegungsrichtung stört, verlagern sie die Aktivität in die Nachtstunden.
L.G.
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Re: Welche Art ist aggressiver?

Beitragvon Xeras » Freitag 11. Juli 2014, 07:33

Ähnliche Beobachtungen konnte ich auf Puppensuche feststellen , einmal eine warme Brutstelle gestört wurde Brut dort nicht mehr gelagert.

MfG Xeras
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Re: Welche Art ist aggressiver?

Beitragvon Trailandstreet » Samstag 6. Dezember 2014, 11:38

Ich erinnere mich noch, als ich mit den Hunden an einer Straße am Waldrand spazieren ging, dort waren auf einer Länge von ca. knapp 100m zwei Waldameisennester, ein Camponotus ligniperdus Nest und ein Myrmica Nest.
Formica fusca konnte ich zwar auch ausmachen, aber kein Nest sehen.
Die Myrmica allerdings waren keinen Meter von dem kleineren Formica s. str. Nest entfernt, die größeren Waldameisen ließen sie aber wohl nicht ohne Grund in Ruhe.
Ich denke, das zeigt, dass sie in freier Wildbahn doch nicht unbedingt immer auf Konfrontation aus sind.
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Re: Welche Art ist aggressiver?

Beitragvon Boro » Samstag 6. Dezember 2014, 15:40

Kleinere Ameisen scheinen auf den ersten Blick großen Ameisen unterlegen zu sein, sie verfügen aber über Strategien, wie sie mit großen Verwandten fertig werden oder zumindest in deren Territorien überleben können. Z. B.
1. durch devotes Anbiedern (Formicoxenus nitidulus in Waldameisen-Nestern)
2. durch Stillhalten, sich "tot stellen" etwa v. Temnothorax spp. gegenüber größeren Arten
3. durch Einsatz chemischer Waffen etwa von Solenopsis fugax, die sogar die Brut größerer Arten als Nahrung nutzen
4. durch sehr volkreiche Systeme (etwa Tetramorium spp. od. Lasius s. str.)
5. durch hypogäische Lebensweise (z. B. Lasius flavus)
6. durch besonders aggressives "Auftreten" wohl in Verbindung mit abschreckenden chem. Substanzen (Repellentien) u. rascher Rekrutierung (wie z. B. L. niger od. L. emarginatus)
L.G.
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