Mißbildungen, Fehlglieder und andere Mutationen

Hier können allgemeine Fragen zum Thema Ameisen, sowie zu europäischen Ameisenarten gestellt werden.

Mißbildungen, Fehlglieder und andere Mutationen

Beitragvon Trailandstreet » Montag 23. Juni 2014, 21:17

Ich möchte hiermit einmal ein Thema eröffnen, in dem etvl vorkommende Fehlbildungen, fehlende oder zusätzliche Glieder oder sonstige ungewöhnlichen Erscheinungen an Euren Ameisen, die Euch aufgefallen sind festhalten könnt.
So z.B. hier bei meiner Myrmica rubra Kolonie, bei der plötzlich ein noch kaum ausgefärbtes Imago ohne Gaster herumlief.
Ob sich die arme Meise das Leben nahm, oder aufgrund des Übergewichts vornüber in den Wassergraben gestürzt ist, kann ich nur vermuten.
Sonst ist sie eigentlich genauso putzmunter herumgelaufen, wie die anderen.
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Re: Mißbildungen, Fehlglieder und andere Mutationen

Beitragvon Reber » Montag 23. Juni 2014, 22:59

Danke für den Thread!

Ich denke eher nicht, dass sich das Tier das leben nahm oder gestürzt ist. Vermutlich ist es wegen der fehlenden Organ im Gaster einfach verhungert und dann von einer anderen Ameise im Wasser "beerdigt" worden. Meine Myrmica entsorgen ihre toten Schwestern nach längerem herumtragen häufig im Wasserschälchen.

In der Natur konnte ich immer mal wieder- ausgefärbte - Ameisen (Formica, Myrmica) beobachten, denen die Gaster fehlte (bei Auseinandersezuzung mit fremden Ameisen verloren?). Sie verhielten sich immer ganz normal.

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Re: Mißbildungen, Fehlglieder und andere Mutationen

Beitragvon Trailandstreet » Dienstag 24. Juni 2014, 07:41

ich denke auch, dass es einfach irgendwann "entsorgt" wurde oder werden musste. An diesem Tag waren allerdings auch noch zwei weitere, wenig ausgefärbte Arbeiterinnen unterwegs. Davon wurde ebenfalls eine von einer älteren Arbeiterin herum getragen. Diese hatte allerdings keine offensichtlichen Handicaps.
Früher ist mir bereits eine Arbeiterin aufgefallen, der auf einer Seite die unteren Fühlerglieder fehlten. (ist jetzt in der Haltung nicht wirklich schlimm)

Vielleicht posten hier andere Halter auch noch verschiedene Abnormitäten. Wäre doch eine Ergänzung zum Wiki. Man darf gespannt sein.
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Re: Mißbildungen, Fehlglieder und andere Mutationen

Beitragvon Trailandstreet » Mittwoch 13. August 2014, 22:31

Um hier noch einmal diesen Beitrag aufzurufen, ich hab noch eine Arbeiterin, die offenbar eine kleine Fehlbildung an der Mandibel hat.
Möglicherweise ist es auch eine Beschädingung. Ein besseres Bild hab ich leider nicht, da sie ja sonst recht putzmunter war und auch recht rum gelaufen ist.
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Re: Mißbildungen, Fehlglieder und andere Mutationen

Beitragvon Merkur » Donnerstag 14. August 2014, 14:51

Auch wenn der Begriff „Mutation“ ziemlich unterschiedlich gebraucht wird, so bedeutet er in der Biologie eine genetische, also ererbte oder vererbbare Eigenschaft, eine Änderung in den Erbanlagen.

Genetische Veränderungen können auch als „somatische Mutationen“ auftreten, so dass die Genveränderung nicht die Keimzellen betrifft, also auch nicht auf die Nachkommen übertragen wird. Wenn während der Embryonalentwicklung in einer Zelle ein Gendefekt auftritt, können alle im Laufe des mit Teilungen verbundenen Wachstums aus ihr entstehenden Zellen denselben Defekt übernehmen („erben“). Das Ergebnis ist dann z. B. ein Farbfleck auf der Haut, der bei Nachkommen des so „mutierten“ Individuums nicht auftritt.

Was in diesem Thread diskutiert wird, sind allerdings bisher nur Schäden, denen gewöhnlich mechanische Störungen während der Larvalentwicklung,oder gar Beschädigungen im Adultstadium zugrunde liegen, auch bei den im AWiki gezeigten: http://ameisenwiki.de/index.php/Besch%C ... te_Ameisen.

Ein Beispiel für eine echte genetische Schädigung haben wir mal bei einem kanadischen Leptothorax sp. - Volk gefunden: In der Laborhaltung entstanden neben ganz normalen Männchen in etwa gleicher Häufigkeit Männchen mit verkrüppelten Extremitäten (Beine, Fühler). (Es waren insgesamt –zig Individuen, nicht etwa nur zwei oder drei!)
Leptothorax-Mutation-merge.jpg
Leptothorax sp.: ein normales sowie mutierte Männchen

Das Bild zeigt von links: Ein normales Männchen - ein Männchen mit dem Defekt – vier Männchenpuppen mit dem Defekt.
Erklärbar ist das damit, dass die Königin vermutlich eine Genmutation trug, die solche Missbildungen hervorruft, nennen wir das defekte Gen „cl“, (crippled legs). Da sie diploid ist, wurde durch das nicht mutierte, normale Gen cl+ die Wirkung des defekten dominant unterdrückt. Ihre Söhne aber entstehen aus unbefruchteten Eiern, sie sind haploid, können also nur entweder das normale „Wildtyp“- Allel cl+ tragen (und normal aussehen), oder sie haben das mutierte Allel cl abbekommen, das dann exprimiert wird.

Solche mutierten Männchen habe wohl keine Chance, sich mit einem Weibchen zu verpaaren. Aber die Töchter unserer Königin dürften zur Hälfte cl+ / cl sein, und zur anderen Hälfte cl+ / cl+, denn alle Eier wurden durch normale cl+ - Spermien vom normalen Vater befruchtet.
Die cl / cl+ Jungköniginnen (und die Arbeiterinnen) sind nur Träger des defekten Gens, das aber in weiblichen Tieren nicht ausgeprägt wird. Erst unter den Söhnen solcher Jungköniginnen werden wieder defekte Männchen auftreten.

Leider konnten wir damals mit diesem Volk nicht weiter züchten, da der Defekt uns zu spät aufgefallen ist.

MfG,
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Re: Mißbildungen, Fehlglieder und andere Mutationen

Beitragvon Teleutotje » Freitag 15. August 2014, 10:58

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Re: Mißbildungen, Fehlglieder und andere Mutationen

Beitragvon Merkur » Freitag 15. August 2014, 11:26

Danke, Teleutotje, für den Link! - Es geht darum, dass eine teratologische Ameise (Missbildung) als Sozialparasiten-Art beschrieben werden sollte.
Man kann den Volltext anklicken.

MfG,
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Re: Mißbildungen, Fehlglieder und andere Mutationen

Beitragvon Merkur » Mittwoch 23. Oktober 2019, 15:22

Genetisch bedingte Missbildungen bei Ameisen

Ein Thread im Antstore-Forum über eine Fühlerdeformation bei Messor zeigt, dass über die Ursachen solcher Missbildungen Unklarheiten bestehen.
Insbesondere wird über eine möglicherweise genetische Ursache diskutiert.
Ein vergleichbares Beispiel hatte ich bereits 2006 hier vorgestellt.

1-Manica rubida Kältekr. web.jpg
Manica rubida mit Fühlermissbildung, Fotos von H. Müller

Ähnliche Missbildungen wurden wiederholt in der Literatur beschrieben, z. B. von H. Kutter (1986): Über Anomalien einheimischer Formiciden. -
Mitteilungen der Schweizerischen Entomologischen Gesellschaft 59, 229-238. Link.

2-aus Kutter (1986).jpg
"Kältekrüppel" aus H. Kutter (1986)

Andere Missbildungen, z. T. bis hin zum Fehlen von Körperteilen, gehen oft auf mechanische Beschädigungen von Larvenstadien zurück), vgl. hier.
Alfred Buschinger & Heide Stoewesand (1971): Teratologische Untersuchungen an Ameisen (Hym., Formicidae). Beitr. Entomol. 21, 211-241.

Die Veröffentlichung Buschinger (1997) zeigt einen dokumentierten Fall von genetisch bedingten Missbildungen bei einer Ameisenart.
Fühler und Beine sind betroffen, bei ziemlich genau der Hälfte der Männchen. (Das wurde auch 2014 bereits einmal hier im AP thematisiert). Ein für die Missbildungen verantwortliches
Allel cl (für „crippled legs) ist recessiv, die normale Wildform cl+ ist dominant. Die Mutter dürfte für dieses Allel heterozygot gewesen sein:cl+/cl.
Das dominante cl+ bewirkt, dass Jungweibchen und Arbeiterinnen äußerlich gesund sind. Männchen entstehen aus unbefruchteten Eiern, wobei ca. die Hälfte der Eier cl+ enthält (daraus entstehen normale Männchen), während die Männchen aus Eiern mit dem Allel cl die Missbildungen aufweisen. Das "defekte" Allel kann sich hier auswirken, da es nicht durch das normale cl+ kompensiert wird. - So weit die Hypothese!
Anmerkung: Das "Gen" cl+ bzw. cl ist nicht offiziell so benannt, ich habe es hier nur zur Verdeutlichung so bezeichnet. Weiterzucht mit den Jungtieren wäre wünschenswert gewesen, war aber damals aus zeitlichen Gründen nicht möglich.
Die Jungweibchen dürften je zur Hälfte cl+/cl+ bzw. cl+/cl gewesen sein. Die cl -Männchen wären vermutlich nicht zur Kopula fähig gewesen. Aber cl+/cl -Weibchen x cl+ -Männchen hätte wieder
dieselbe genetische Disposition wie bei dem ursprünglichen Muttertier ergeben, d. h. ein äußerlich normales Volk, bei dem ca. 50% der männlichen Nachkommen missgebildet gewesen wären, während Völker mit cl+/cl+ -Weibchen nur normale Männchen produziert hätten. Ich füge hier die Originalarbeit ein:

3-Genet.-Missbild.L.can.t.jpg
Buschinger (1997), aus BembiX, S. 34-35
4-Genet.Missb.L.can.2b.jpg
Buschinger (1997), aus BembiX, S. 36
MfG,
Merkur
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