Sklavenhaltende Ameisen haben reduzierte chemische Sinne

Convergent loss of chemoreceptors across independent origins of slave-making in ants
Evelien Jongepier, Alice Séguret, Anton Labutin, Barbara Feldmeyer, Claudia Gstöttl, Susanne Foitzik, Jürgen Heinze, Erich Bornberg-Bauer
(Konvergenter Verlust von Chemoreceptoren bei unabhängig voneinander entstandenen sklavenhaltenden Ameisen) doi: https://doi.org/10.1101/2021.05.11.443570
bioRxiv preprint doi: https://doi.org/10.1101/2021.05.11.443570; this version posted May 11, 2021. The copyright holder for this preprint(which was not certified by peer review) is the author/funder, who has granted bioRxiv a license to display the preprint in perpetuity. It is made available under aCC-BY-NC-ND 4.0 International license. - (Preprint einer noch nicht begutachteten Arbeit)
Die Kernaussage der Arbeit ist, dass sklavenhaltende Ameisen gegenüber ihren Sklaven (und deren nicht versklavten Verwandten) Reduktionserscheinungen in ihren Chemorezeptoren aufweisen, was anhand molekulargenetischer Untersuchungen gezeigt wird. Betroffen sind Geruchs- (olfactory) und Geschmacks- (gustatory) Sinn.
Untersucht wurden die Sklavenhalter Harpagoxenus sublaevis (Europa), Temnothorax (früher: Protomognathus) americanus (Nordamerika) und Temnothorax (früher Myrmoxenus = Epimyrma) ravouxi (Europa), jeweils eine von deren Sklavenarten und eine nicht als Wirtsart genutzte Art (vgl. Fig.1)
Die drei Sklavenhalter entstanden unabhängig voneinander (konvergent) aus den Gruppen ihrer jeweiligen Sklavenarten, mit denen sie nahe verwandt sind. Auch die Verluste im Bereich der chemischen Sinnesorgane treten in allen drei Gruppen konvergent auf. (Die Abb. enthält wohl einen Fehler: T. ravouxi dürfte mit T. unifasciatus näher verwandt sein als mit T. longispinosus und T. americanus!)
Die Gene für Chemorezeptoren lassen sich in den Gesamt-Genomen der acht untersuchten Arten identifizieren und vergleichen.
Sklavenhalter-Genome enthielten nur halb so viele Gene für Geschmacksrezeptoren wie ihre Wirte.
Dies wird dahingehend gedeutet, dass bei den Sklavenhaltern die Furagiertätigkeit wegfällt und von den Sklaven übernommen wird.
Weiterhin haben die Sklavenhalter auch weniger Geruchsrezeptor-Gene. Die konvergenten Verluste spezifischer Geruchsrezeptoren legen nahe, dass es sich dabei um Anpassungserscheinungen handelt, ähnlich wie die bei parasitischen Ameisen üblichen Verluste sozialer Verhaltenelemente.
Ich füge hier noch einen Teil von Fig. 2 ein, wobei im unteren Bereich (C) Verluste (losses) und Gewinne (gains) im Repertoire von Geruchsrezeptorgenen (Or) bei den Sklavenhaltern (violett) und ihren Sklaven (blau) dargestellt sind. Bei B ist das Gesamt-Repertoire von Or-Genen der Sklavenhalter, Sklaven und (grau) der nicht als Sklaven dienenden Arten dargestellt. Auf die Inhalte des oberen Teilbereichs will ich hier nicht im Detail eingehen.
---
Es ist bewundernswert, was man mit modernen genetischen Methoden herausarbeiten kann! Für mich weiterhin ein Rätsel ist allerdings, weshalb die drei untersuchten Sklavenhalter-Arten (über deren Verwandtschaft, Verhalten usw. ich ja auch gearbeitet habe) jeweils auf ganz bestimmte Wirtsarten spezialisiert sind. In der großen Gruppe selbständiger Temnothorax-Arten nutzt Myrmoxenus ravouxi gerade mal drei bis vier Arten, während andere, ebenfalls häufige Arten (etwa T. nylanderi, T. parvulus) im Freiland nie versklavt werden. Die ehemalige Gattung Myrmoxenus umfasst etwa zehn Arten (jetzt alle unter Temnothorax zu suchen), deren jede aber nur eine oder 2-3 selbständige Temnothorax-Arten als Wirte nutzt. - Vielleicht lässt sich auf genetischem Wege auch dieses Rätsel mal lösen?
Da z. B. das Wirtsarten-Spektrum für Myrmecoxenus ravouxi weitgehend mit dem von Chalepoxenus muellerianus (heute ebenfalls in Temnothorax) übereinstimmt, scheinen bestimmte selbständige Temnothorax-Arten irgendwie „prädestiniert“ als Wirtsarten für Sozialparasiten zu sein. Dies lässt sich auch für Leptothorax acervorum als Hauptwirtsart für Harpagoxenus sublaevis zeigen, wobei L. acervorum auch einzige Wirtsart für drei arbeiterinnenlose Sozialparasiten ist. Weshalb sind andere selbständige Leptothorax- bzw. Temnothorax-Arten geradezu „immun“ gegen die Parasitierung durch Sklavenhalter und/oder Inquilinen?
Neue Methoden eröffnen neue Einsichten und Möglichkeiten, werfen zugleich aber auch neue Fragen auf!
„Je größer die Insel des Wissens, desto größer die Küste der Fragen“ (Autor unbekannt)
MfG,
Merkur
Evelien Jongepier, Alice Séguret, Anton Labutin, Barbara Feldmeyer, Claudia Gstöttl, Susanne Foitzik, Jürgen Heinze, Erich Bornberg-Bauer
(Konvergenter Verlust von Chemoreceptoren bei unabhängig voneinander entstandenen sklavenhaltenden Ameisen) doi: https://doi.org/10.1101/2021.05.11.443570
bioRxiv preprint doi: https://doi.org/10.1101/2021.05.11.443570; this version posted May 11, 2021. The copyright holder for this preprint(which was not certified by peer review) is the author/funder, who has granted bioRxiv a license to display the preprint in perpetuity. It is made available under aCC-BY-NC-ND 4.0 International license. - (Preprint einer noch nicht begutachteten Arbeit)
Abstract
The evolution of an obligate parasitic lifestyle often leads to the reduction of morphological and physiological traits, which may be accompanied by loss of genes and functions. Slave-maker ants are social parasites that exploit the work force of closely related ant species for social behaviours such as brood care and foraging. Recent divergence between these social parasites and their hosts enables comparative studies of gene family evolution. We sequenced the genomes of eight ant species, representing three independent origins of ant slavery. During the evolution of eusociality, chemoreceptor genes multiplied due to the importance of chemical communication in societies. We investigated evolutionary patterns of chemoreceptors in relation to slave-making in ants. We found that slave-maker ant genomes harboured only half as many gustatory receptors as their hosts, potentially mirroring the outsourcing of foraging tasks to host workers. In addition, parasites had fewer odorant receptors and their loss shows patterns of convergence across origins of parasitism, representing a rare case of convergent molecular evolution. This convergent loss of specific odorant receptors suggests that selective deprivation of receptors is adaptive. The 9-exon odorant receptor subfamily, previously linked to social evolution in insects, was significantly enriched for convergent loss across the three origins of slavery in our study, indicating that the transition to social parasitism in ants is accompanied by the loss of receptors that are likely important for mediating eusocial behaviour. Overall, gene loss in slave-maker ants suggests that a switch to a parasitic lifestyle accompanies relaxed selection on chemical perception.
Die Kernaussage der Arbeit ist, dass sklavenhaltende Ameisen gegenüber ihren Sklaven (und deren nicht versklavten Verwandten) Reduktionserscheinungen in ihren Chemorezeptoren aufweisen, was anhand molekulargenetischer Untersuchungen gezeigt wird. Betroffen sind Geruchs- (olfactory) und Geschmacks- (gustatory) Sinn.
Untersucht wurden die Sklavenhalter Harpagoxenus sublaevis (Europa), Temnothorax (früher: Protomognathus) americanus (Nordamerika) und Temnothorax (früher Myrmoxenus = Epimyrma) ravouxi (Europa), jeweils eine von deren Sklavenarten und eine nicht als Wirtsart genutzte Art (vgl. Fig.1)
Die drei Sklavenhalter entstanden unabhängig voneinander (konvergent) aus den Gruppen ihrer jeweiligen Sklavenarten, mit denen sie nahe verwandt sind. Auch die Verluste im Bereich der chemischen Sinnesorgane treten in allen drei Gruppen konvergent auf. (Die Abb. enthält wohl einen Fehler: T. ravouxi dürfte mit T. unifasciatus näher verwandt sein als mit T. longispinosus und T. americanus!)
Die Gene für Chemorezeptoren lassen sich in den Gesamt-Genomen der acht untersuchten Arten identifizieren und vergleichen.
Sklavenhalter-Genome enthielten nur halb so viele Gene für Geschmacksrezeptoren wie ihre Wirte.
Dies wird dahingehend gedeutet, dass bei den Sklavenhaltern die Furagiertätigkeit wegfällt und von den Sklaven übernommen wird.
Weiterhin haben die Sklavenhalter auch weniger Geruchsrezeptor-Gene. Die konvergenten Verluste spezifischer Geruchsrezeptoren legen nahe, dass es sich dabei um Anpassungserscheinungen handelt, ähnlich wie die bei parasitischen Ameisen üblichen Verluste sozialer Verhaltenelemente.
Ich füge hier noch einen Teil von Fig. 2 ein, wobei im unteren Bereich (C) Verluste (losses) und Gewinne (gains) im Repertoire von Geruchsrezeptorgenen (Or) bei den Sklavenhaltern (violett) und ihren Sklaven (blau) dargestellt sind. Bei B ist das Gesamt-Repertoire von Or-Genen der Sklavenhalter, Sklaven und (grau) der nicht als Sklaven dienenden Arten dargestellt. Auf die Inhalte des oberen Teilbereichs will ich hier nicht im Detail eingehen.
---
Es ist bewundernswert, was man mit modernen genetischen Methoden herausarbeiten kann! Für mich weiterhin ein Rätsel ist allerdings, weshalb die drei untersuchten Sklavenhalter-Arten (über deren Verwandtschaft, Verhalten usw. ich ja auch gearbeitet habe) jeweils auf ganz bestimmte Wirtsarten spezialisiert sind. In der großen Gruppe selbständiger Temnothorax-Arten nutzt Myrmoxenus ravouxi gerade mal drei bis vier Arten, während andere, ebenfalls häufige Arten (etwa T. nylanderi, T. parvulus) im Freiland nie versklavt werden. Die ehemalige Gattung Myrmoxenus umfasst etwa zehn Arten (jetzt alle unter Temnothorax zu suchen), deren jede aber nur eine oder 2-3 selbständige Temnothorax-Arten als Wirte nutzt. - Vielleicht lässt sich auf genetischem Wege auch dieses Rätsel mal lösen?
Da z. B. das Wirtsarten-Spektrum für Myrmecoxenus ravouxi weitgehend mit dem von Chalepoxenus muellerianus (heute ebenfalls in Temnothorax) übereinstimmt, scheinen bestimmte selbständige Temnothorax-Arten irgendwie „prädestiniert“ als Wirtsarten für Sozialparasiten zu sein. Dies lässt sich auch für Leptothorax acervorum als Hauptwirtsart für Harpagoxenus sublaevis zeigen, wobei L. acervorum auch einzige Wirtsart für drei arbeiterinnenlose Sozialparasiten ist. Weshalb sind andere selbständige Leptothorax- bzw. Temnothorax-Arten geradezu „immun“ gegen die Parasitierung durch Sklavenhalter und/oder Inquilinen?
Neue Methoden eröffnen neue Einsichten und Möglichkeiten, werfen zugleich aber auch neue Fragen auf!
„Je größer die Insel des Wissens, desto größer die Küste der Fragen“ (Autor unbekannt)

MfG,
Merkur