Keine gute Beratung...

Hier können Fragen rund um das Thema Ameisenhaltung gestellt werden.

Keine gute Beratung...

Beitragvon Merkur » Montag 1. Oktober 2018, 17:23

Im A_Café fragt ein User nach einer für ihn empfehlenswerten Ameisenart. Nach seinen Erfahrungen mit Lasius niger soll es nun eine exotische Art sein, die keine Winterruhe hält, sich in einem Wüstenbecken wohlfühlt, und eher „kleine Jäger“ als Körnersammler sein sollen….

Eine erste Antwort:
„leider sind Themnothorax/ Leptothorax die einzigen die mit sowas klar kommen würden.“
Es scheint unbekannt, dass alleine die Gattung Temnothorax mehrere Hundert Arten umfasst, von denen einige bevorzugt in relativ feuchtem Laubwald (Bsp. T. nylanderi), andere in Felsspalten (T. unifasciatus), und wieder andere in Totholz an Sträuchern und Bäumen (T. affinis) leben. Hinzu kommen seit Ward et al. (2015) die Sozialparasiten der Gattung, die zum Teil Sklavenhalter sind (ehemalige Gattungen Myrmoxenus, Chalepoxenus), oder arbeiterinlose „degenerierte Sklavenhalter“ aus diesen Gattungen, oder Inquilinen (T. minutissimus) und die sklavenhaltenden T. americanus = ehemalige Protomognathus americanus sowie T. duloticus, wenn man die nordamerikanischen Arten mit einbezieht.

Die Gattung Leptothorax ist nochmals etwas ganz anderes. Doch auch bei dieser gibt es eher feuchtigkeitsliebende (L. muscorum) und trocken-resistente (L. acervorum) sowie arbeiterinlose Sozialparasiten (ehem. Gattung Doronomyrmex).
Doch keine davon lebt in Wüsten!

Es ist also reichlich „daneben“, wenn man das alles als „Temnothorax/Leptothorax“ über einen Kamm scheren möchte.

Noch schlimmer wird es in diesem Beitrag.
Um nicht alles einzeln zu wiederholen, kopiere ich mal den Text und versehe ihn mit Anmerkungen:
Temnothorax/Leptothorax haben auch den Vorteil, dass man kein riesiges Reagenzglas oder eine Farm braucht, die nisten am liebsten in Kleinstojekten (hohle Eicheln, leere Samenkampseln z.B. von Kürbiskernen, kleine Schneckenhäuser, winzige Zweigchen, Box für Druckbleistiftminen, Hygrometer ). Dabei sind sie polydom, d.h. die Kolonie kann sich auf mehrere Kleinstnester verteilen (es empfiehlt sich mehrere Nistmöglichkeiten anzubieten, dann kann man Arbeiterinnen zwischen den Nestern wandern sehen).
Anmerkung: Polydomie, Nutzung mehrerer Nistgelegenheiten, ist besonders bei polygynen Arten verbreitet. Bei Temnothorax und Leptothorax, - die meisten Arten sind monogyn – gibt es das nur selten und vorübergehend, meist im Zuge eines Nestwechsels. Allenfalls eine kleine Gruppe NE-amerikanischer „Acorn Ants“ ist gelegentlich polydom.
Geeignete Domizile sind leere Eicheln, Haselnüsse, in N-Amerika auch Hickory-Nüsse, WENN diese zuvor von einer Rüsselkäferlarve ausgehöhlt und mit einem Löchlein passender Größe versehen worden sind. Halten kann man sie sogar in einem Formikar mit den Abmessungen 10 x 10 x 3 cm, und das über mehr als 10 Jahre. Ist in vielen Ameisenbüchern zu finden, z. B. Hölldobler & Wilson 1990. (Siehe hier)


Durch ihr Leben auf dem Waldboden sind sie geradezu absurd resistent gegen Temperaturschwankungen und können von kalt bis warm so ziemlich alles tolerieren (deren Nisteichel liegt schonmal in der prallen Sonne und wird anschließend vom kalten Regen überspült), zudem sind sie äußerst zäh und besitzen sie extrem ausgefeilte Methoden um mit Nahrungsmangel umzugehen, vergisst man mal sie zu füttern ist das nicht so schlimm wie bei vielen anderen Arten. Auch das Nest muss man nicht befeuchten, sie mögen es trocken - eine Tränke muss aber natürlich vorhanden sein.
Anmerkung: Temperaturschwankungen sind für etliche der Arten sogar wichtig für die normale Entwicklung, tages- wie auch jahresperiodisch. Siehe hier

Temnothorax/Leptothorax sind extrem entspannte Ameisen, die sich meist nur langsam bewegen (außer wenn sie gestört werden). Sie entfernen sich selten mehr als einen Meter vom Nest (anders als Lasius niger, die man bei einem Ausbruch auch noch 3 Zimmer weiter findet ) und klettern nicht mehr als ca. einen halben Meter hoch - wenn nicht gerade ein geeigneter Alternativnistplatz in Reichweite steht kann man die prinzipiell sogar offen auf einem großen Tisch halten, ohne dass was schlimmes passiert.
Anmerkung: Außer man hat T. affinis, die in den Baumkronen hoher Eichen und Obstbäume leben kann.

Die Arbeiterinnen besitzen ein extrem gutes Navigationsvermögen dank dem sie auch im Laubchaos des Waldbodens verlässlich zurück nachhause finden, trockenes Laub (bzw. Laubstückchen) ist daher ein sehr gutes Bodensubstrat für diese Ameisen (sieht hübsch aus wenn man ganz kleine Blättchen nimmt, ist wüstenbeckenkompatibel und schimmelt nicht, da trocken).
Ameisenstraßen bildet die Art nicht, aber Tandemlauf in Grüppchen von 2 bis 5 ist sehr üblich und legt man etwas Futter ins Becken sind sie erstaunlich schnell dran, bei geforerem Futter oft bevor das Stück auch nur ansatzweise auftauen konnte.
Anmerkung: Beim Tandemlauf folgt genau eine Ameise der führenden. Sind es mehrere, so geht das mit einer Duftspur, und das nennt man Gruppenrekrutierung. Die ist bisher nur von einigen Sklavenhaltern der Gattung bekannt.

Die maximale Koloniegröße liegt so bei 100-200 Tieren, in der Haltung könnten es möglichweise auch etwas mehr werden (500 dürften sie aber definitiv nicht erreichen). Für so kleine Ameisen dauert die Aufzucht der Brut recht lange (2-3 Monate), sie explodieren also nicht plötzlich wie Lasius niger das gerne tun. Ein 25x15-Becken dürfte denen für 1-2 Jahre reichen, dann sollte man am besten noch ein 30x20-Becken anschließen (reines Arenabecken ohne integrierte Farm), das reicht dann auf jeden Fall dauerhaft (glaube die Königin wird so 10-15 Jahre alt).
Anmerkung: Die Larvalentwicklung dauert bei beiden Gattungen meistens gegen ein Jahr, einschließlich einer larvalen Überwinterung. Geschlechtstiere entstehen nur aus überwinterten Larven. Bei manchen Arten überwintert ein Teil der Larven sogar zweimal. „Glauben“ ist gut, Wissen ist besser: Es gibt Berichte, nach denen die Königinnen so alt werden können.
Temnothorax/Leptothorax sind halt nicht so quirlig und hyperaktiv wie Lasius niger, sondern eher Liebhaber-Ameisen, die ruhig und entspannt ihrer Wege gehen - aber wenn man wenig Platz hat und pflegeleichte entspannte Ameisen möchte wird man nur schwer was besseres finden


Fazit: Man sollte, anstatt derart leichtfertig zu verallgemeinern, sich vielleicht besser auf die Arten beschränken, die man kennt bzw. über die man sich wirklich informiert hat, und diese dann auch als separate ARTEN nennen. Es sind ohnehin nur wenige Arten aus beiden Gattungen gelegentlich im Handel. Da sollte es doch möglich sein, sich z. B. auf Informationen zu T. nylanderi, T. unifasciatus und L. acervorum zu beschränken.

Generell beweist der Thread wieder einmal mehr, dass Informationen aus den Ameisenforen mit größter Vorsicht zu genießen sind und oft äußerst kritisch hinterfragt werden müssen. Es gibt Wikipedia, Ameisenwiki, AntWiki und etliche andere empfehlenswerte Quellen. Auch dort angegebene (und oft als pdf verlinkte) Literatur steht da nicht zur Verzierung, sondern weil daraus viele RICHTIGE Infos zu entnehmen sind. Die Nutzung ist nicht nur den Fragestellern zu empfehlen, sondern ganz besonders solchen Usern, die sehr viel in die Foren schreiben, sich aber leider oft als recht ahnungslos erweisen. :roll:

MfG,
Merkur
  • 1

Zuletzt geändert von Merkur am Montag 1. Oktober 2018, 19:52, insgesamt 1-mal geändert.
Benutzeravatar
Merkur
Beirat
 
Beiträge: 3641
Registriert: Sonntag 6. April 2014, 07:52
Wohnort: Reinheim
Bewertung: 9892

Re: Keine gute Beratung...

Beitragvon Trailandstreet » Montag 1. Oktober 2018, 19:43

Ich hab den Thread auch gelesen.
Mir wäre jetzt gerade keine Art eingefallen, die in Wüsten lebt und in einem derart kleinen Becken zurechtkommt.
Südländische Temnothorax oder dergleichen sind aber auch schon mal schwer zu bekommen. Wohl aufgrund dessen, dass sie doch eher selten angefragt werden.
  • 0

Benutzeravatar
Trailandstreet
Mitglied
 
Beiträge: 1170
Registriert: Mittwoch 9. April 2014, 21:02
Wohnort: Ho'mbua
Bewertung: 1692

Re: Keine gute Beratung...

Beitragvon Anon » Dienstag 2. Oktober 2018, 13:11

Fragt sich, ob man in (Tierhalter-Hobby-)Foren wirklich fachkundig und kompetent beraten (werden) "muss",
oder ob sich manche User einfach nur ein bißchen miteinander unterhalten wollen.

Letzeres scheint in vielen Foren vollkommen ausreichend (und für den Fragesteller zufriedenstellend) zu sein... :roll:
  • 2

Anon
 


Zurück zu Einsteigerfragen und Ameisenhaltung allgemein

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 6 Gäste

Reputation System ©'