Hier hatte ich am 26. Feb. 2019 unter „Bilder des Tages“ über ein Völkchen von
Temnothorax affinis berichtet,
das aus einem Bambusröhrchen freigesetzt wurde, nachdem es am 23. Feb. aus einem Schlehenstrauch gefallen war.
Die Stücke des bewohnten Bambusröhrchens hatte ich in eines unserer Dreikammer-Formikarien gelegt.

- So sah das zunächst aus.
Die grauen und grünlichen Krümel sind Reste vom Verschluss des Nesteingangs, zum Teil wohl Stückchen von Flechten.

- Dann habe ich die Reste des Röhrchens ausgeklopft.
In der im Bild linken Kammer lag eines der Objektträgernestchen, mit roter Folie abgedeckt. Das Formikar ist 10 x 10 cm groß, mit einem 3 cm hohen Rand,
der innen dünn mit Paraffinöl bestrichen wurde. Das Ganze legte ich in die Garage, bei acht bis 14°C.

- Das Formikar in der Übersicht.
Am 26.07. hatten sie das Objektträgernestchen bezogen und sich wieder zu einer „Wintertraube“ zusammen gruppiert. In der mittleren Kammer liegt ein
Schälchen mit etwas Honigwasser, in der im Bild rechten eines mit Trinkwasser. Die Durchgänge der Trennwände (links unten, rechts oben) sind so angeordnet, dass ein Feuchtigkeitsgradient
zwischen der Nestkammer (über der sich im Deckel eine Belüftungsöffnung befindet) und der rechten "Wasserkammer" entsteht. Der Boden besteht aus Gips.

- Die "Wintertraube" im Kunstnest.
Am Nachmittag des 01. März habe ich das Objektträgernestchen mit dem Ameisenvolk darin in ein größeres Dreikammer-Formikar (19 x 11 cm) gelegt, und ein neues Stück Bambusrohr in die längste Kammer.
Bis abends waren die Ameisen noch in dem Objektträgernest. Das Ganze wollte ich am 02. März um 11:00 fotografieren. Doch zu meiner Überraschung waren die Tiere komplett in den Bambus umgezogen!
Temperatur in der Garage maximal 14°C (am 01. März), nachts minimal 8°C.

- Sie sind im Bambus!
Eine Möglichkeit zum Auswandern gibt es nicht, da der Deckel dicht schließt und auch die Lüftungsöffnung darin mit eingeklebter Drahtgaze
kein Durchkommen erlaubt. Nun wird das Bambusröhrchen wieder in die Schlehe gehängt, so bald es etwas wärmer wird.
Dürre Zweige mit
T. affinis-Völkchen fallen oft von Bäumen. Dennoch findet man sie am Boden nur im Winter bei niedrigen Temperaturen. In wärmeren Jahreszeiten scheinen sie doch bald wieder
umzuziehen, nach Möglichkeit auf Sträucher oder Bäume, wo sie in Borke oder dürren Ästchen neue Nester finden. Dass ein Umzug auch bei den jetzt beobachteten Temperaturen so rasch erfolgen kann,
hielt ich bisher nicht für möglich. Und: „Natürliches“ Holz, auch wenn es hier nur Bambus ist, wird unseren Kunstnestchen eindeutig vorgezogen!
Allerdings gilt das wohl nicht für alle Arten. Ein Völkchen von
Temnothorax unifasciatus hatte ich vor Jahren mitsamt ihrem Objektträgernest in eine Trockenmauer im Garten geschoben. Ich konnte
es immer wieder mal herausziehen: Obwohl die Ameisen leicht eine natürlichere Nistgelegenheit in der Mauer hätten beziehen können, blieben sie über ein Jahr in ihrem Kunstnestchen!
Hier der Bericht.
Weitere Informationen zu Orientierung und Nistplatzwahl bei Temnothorax spp.:Maschwitz, U., Lenz, S., Buschinger, A. (1986): Individual specific trails in the ant
Leptothorax affinis (Formicidae: Myrmicinae). Experientia 42, 1173-1174.
Leptothorax affinis lays chemical trails during nest emigration. Workers which carried colony members during nest movement refused trails of nest mates and searched for their own trails.
The origin of the individual specific trail substance could not be localized.
Temnothorax affinis legt chemische Spuren während eines Nestumzuges. Arbeiterinnen, die Nestgenossinnen trugen, vermieden die Spuren anderer Arbeiterinnen und suchten nach ihrer
eigenen Spur. Jede Arbeiterin legt also sozusagen einen eigenen Ariadnefaden im unbekannten Terrain.
Auch bei
Temnothorax albipennis wurden in 2000 individual-spezifische Spuren nachgewiesen, in einer interessanten Arbeit, in der gezeigt wurde, wie diese Ameisen die Größe und Eignung einer
Nistgelegenheit evaluieren: Eamonn B. Mallon and Nigel R. Franks (2000): Ants estimate area using Buffon’s needle. - Proc. R. Soc. Lond.B 267, 765-770.
https://www.le.ac.uk/bl/ebm3/Mallon%20& ... 202000.pdf Für Halter von
Temnothorax- bzw. auch
Leptothorax-Arten könnte so etwas eine Anregung zu eigenen Beobachtungen sein. Aufgrund der geringen Größe der Völkchen und ihres begrenzten
Raumbedarfs sind solche Experimente sozusagen auf dem Schreibtisch möglich!
MfG,
Merkur