Colobopsis truncata – wieder gültig. Auswirkungen?

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Colobopsis truncata – wieder gültig. Auswirkungen?

Beitragvon Merkur » Dienstag 24. März 2020, 18:11

Rin in de Kadoffln – raus aus de Kadoffln“, daran muss man denken, wenn man die Flut von Umbenennungen in jüngerer Zeit ansieht.

Unsere bekannte „Stöpselkopfameise“ heißt in Lebas et al. (2019, „Die Ameisen Europas“) „Camponotus truncatus, Untergattung Colobopsis“.
Seifert (2018) führt sie als „Colobopsis truncata“.
Im Seifert (2007) findet sie sich als „Camponotus truncatus“.
Stitz (1939) nennt sie „Camponotus (Colobopsis) truncata“, also eine Untergattung von Camponotus angehörend.
Einst, vor über 200 Jahren (!), war sie von Spinola 1808 als „Formica truncata“ beschrieben worden. (Sie wurde dann zu Recht in die Gattung Camponotus bzw. Colobopsis übertragen):
Kombination in Colobopsis: Mayr, 1861.
Forel (1893) hat sie in Camponotus (Colobopsis) umbenannt.
Usw., usw…

Ward et al. (2016) haben zuletzt die Gattung Colobopsis wieder auferstehen lassen:
https://antwiki.org/wiki/images/5/5e/Wa ... icinae.pdf
Ward, P.S., Blaimer, B.B., Fisher, B.L. 2016. A revised phylogenetic classification of the ant subfamily Formicinae (Hymenoptera: Formicidae), with resurrection of the genera Colobopsis and Dinomyrmex.

Dies ist nur ein Beispiel für viele. Insbesondere die Gruppe um Phil Ward hat ja auch die Myrmicinae durcheinander gewürfelt und bekannte Gattungen von Sozialparasiten in deren Wirtsgattungen integriert. - Hier im AP finden sich ausführliche Diskussionen zu den Umbenennungen von Teleutomyrmex, Anergates, Myrmoxenus, Chalepoxenus etc..

Ich stelle meine gute alte Frage: „Was wissen wir jetzt mehr?“
Oder anders ausgedrückt: Welchen Fortschritt im Wissen über die betroffenen Arten bringen die Umbenennungen, vor allem die jüngeren auf der Basis molekulargenetischer Untersuchungen?
Nichts, Keinen!
Dass die Stöpselkopfameisen sich in wesentlichen Merkmalen von den übrigen Camponotus-Gruppen unterscheiden (es wurden etliche Untergattungen darin beschrieben), haben wir ja schon lange gewusst. :roll:

Die Autoren solcher taxonomischer Rundumschläge allerdings haben Vorteile: Je mehr Arten betroffen sind, desto öfter müssen diese Forscher in nachfolgenden Veröffentlichungen zitiert werden. Wichtig ist hauptsächlich, dass ihre Arbeiten, referiert und begutachtet, in führenden Zeitschriften erscheinen. Das ist nützlich für die Karriere, wenn man sich auf höher dotierte Posten bewirbt, denn die „Wiss. Reputation“ wird heute gemessen, u. a. an der Zahl der Zitate, die ein Forscher erreicht, oder der Zahl der „Leser“ seiner Arbeiten und seiner „follower“. Das „Score“, eine Art Punktekonto, bei entsprechenden Organisationen wie „ResearchGate“, das zählt.
Wer sich näher darüber informieren möchte: https://blogs.lse.ac.uk/impactofsocials ... ad-metric/

Ich möchte mir wünschen, dass ein erklärtes Ziel der „Internationalen Nomenklaturregeln“ durchgesetzt wird: Die Stabilität der Namen. Das wäre eine Aufgabe der Internationalen Nomenklaturkommission. Stabilität der Namen von Arten, Gattungen und höheren Kategorien, Schutz vor mutwilligen Umbenennungen aufgrund rigoroser Forderungen nach Anpassung des Systems an die Befunde der Molekulargenetik. Die dürfen gerne belegen, dass die eine oder andere Gattung im traditionellen System paraphyletisch ist, damit könnten wir dennoch gut leben.

Im AntWiki kann man unter „recent changes“ verfolgen, welchen Aufwand hoch qualifizierte Wissenschaftler immer wieder treiben müssen, um dieses Wiki jederzeit aktuell zu machen. Siehe auch die "history" zu Colobopsis truncata
Dabei geht es nicht nur um die eine Art C. truncata: Die Gattung Colobopsis umfasst jetzt 122 Arten! Und die müssen auch in den Listen der Ameisenarten in den einzelnen Ländern ggf. korrigiert werden.

Noch schlimmer dürfte es die Kuratoren von wiss. Sammlungen treffen, die nach solchen Umbenennungen „eigentlich“ die ganzen genadelten Exemplare der betroffenen Arten mit zusätzlichen Etiketten versehen müssten. (Oder abwarten, bis die Umbenennung vielleicht wieder rückgängig gemacht wird?)

Und wer sich für eine bestimmte Art bzw. Gattung interessiert, muss in der Literatur (im Netz) nach allen Namen suchen unter denen über das Taxon publiziert wurde, eben auch nach den „älteren“ Synonymen, denn Gedrucktes lässt sich nicht nachträglich ändern.

Für die Ameisenhalter: Die meisten werden nicht viel von den Umbenennungen mitbekommen. Auch von den Händlern erwarte ich kaum eine Anpassung, zumal man sogar noch die definitiv falsch benannte Camponotus „xiangban“ angeboten bekommt. Sie wurde nie wissenschaftlich unter diesem Namen beschrieben; „xiangban“ ist ein chinesischer Trivialname („wohlriechend“).

Über die nun gültige Bezeichnung „Colobopsis truncata“ findet sich hier ein Thread vom Feb. 2016, der mir jetzt angesichts der Umbenennungen im AntWiki wieder bewusst wurde.

Die hier regelmäßig aktiven User, mich eingeschlossen, betrifft das nicht so sehr. Doch gibt es jüngere Myrmekologen, auch in der wiss. Laufbahn, die hier hereinschauen. An die vor allem ist meine Kritik an den m. E. vielfach unsinnigen Umbenennungen gerichtet. Vielleicht denken sie ebenfalls darüber nach, und vielleicht gibt es mal die/den eine/n oder andere/n, die/der sich in seinen Publikationen dazu äußert?

MfG,
Merkur
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Re: Colobopsis truncata – wieder gültig. Auswirkungen?

Beitragvon Teleutotje » Dienstag 24. März 2020, 21:12

Yes Merkur, but the original version of Lebas et al. was 2014 or 2015, so before Ward et al, 2016......
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Re: Colobopsis truncata – wieder gültig. Auswirkungen?

Beitragvon Phil » Freitag 27. März 2020, 14:43

Hey,
ich kann durchaus nachvollziehen, dass Änderungen der höheren taxonomischen Einordnung (d.h. über dem Artlevel) oft unangenehm aufstoßen. Aber es gibt durchaus sehr gute Begründungen dafür, die hier ruhig genannt werden können.
In der gesamten heutigen Taxonomie gibt man sich große Mühe, dass die taxonomische Einordnung eben eine Hauptfunktion hat, bzw. eine Information wiederspiegelt: eine sinnvolle Untergliederung in taxonomisch monophyletische Einheiten, die Verwandtschaft wiederspiegeln soll.
Ich stelle meine gute alte Frage: „Was wissen wir jetzt mehr?“
Oder anders ausgedrückt: Welchen Fortschritt im Wissen über die betroffenen Arten bringen die Umbenennungen, vor allem die jüngeren auf der Basis molekulargenetischer Untersuchungen?
Nichts, Keinen!
Dass die Stöpselkopfameisen sich in wesentlichen Merkmalen von den übrigen Camponotus-Gruppen unterscheiden (es wurden etliche Untergattungen darin beschrieben), haben wir ja schon lange gewusst. :roll:

Das eben ist nur die halbe Wahrheit: Wir wussten vorher schon, dass sich Colobopsis von anderen Camponotus Gruppen unterscheidet, aber nicht wie sehr vor allem in Relation zu anderen Gattungen!
Schauen wir mal auf die wichtigste Abbildung:
ward et al.jpg


Colobopsis ist nicht nur "unähnlich" zu anderen Camponotus, sondern eine ganze Reihe an anderen Gattungen sind ähnlicher zu den Rest-Camponotus als Colobopsis! Darunter sind z.B. Polyrhachis, Echinopla, Dinomyrmex, Calomyrmex, Opisthopsis....
Ward et al. hatten also genau zwei Möglichkeiten, um die Taxonomie so anzupassen, dass sie tatsächlich Verwandtschaft wiederspiegelt:
1. Entweder sie hätten ALLE Polyrhachis, Calomyrmex etc. als Camponotus eingegliedert, oder
2. sie gliedern Colobopsis (und Dinomyrmex) aus und nennen es eine eigene Gattung, wodurch die anderen Gattung erhalten bleiben

Zum Glück wurde sich für letztes entschieden ;) Stellt euch mal vor, wie sonst die Änderungen ausgesehen hätten!

Grüße, Phil
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Re: Colobopsis truncata – wieder gültig. Auswirkungen?

Beitragvon Teleutotje » Samstag 28. März 2020, 09:39

The original reference for the book is:

Lebas , C., Galkowski, C., Blatrix, R., Wegnez, P., 2016. "Fourmis d'Europe Occidentale." Luçon: Delachaux et Niestlé, 416 pp.

So it was written in 2014 and 2015, so long before Ward et al. 2016.....
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Re: Colobopsis truncata – wieder gültig. Auswirkungen?

Beitragvon Teleutotje » Sonntag 29. März 2020, 11:56

Merkur: "The German translation of the book appeared 2019, long after Ward et al. 2016. Why wasn't it changed?"

It happens so much with translations. Why should they do that?
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Re: Colobopsis truncata – wieder gültig. Auswirkungen?

Beitragvon Merkur » Montag 30. März 2020, 17:03

Zum Beitrag von Phil: posting.php?mode=reply&f=11&t=2162#pr20318

Wir werden über das Problem keinen Streit bekommen, zumal wir hier in einem Forum nichts ändern können, und da ohnehin das „Kind in den Brunnen gefallen ist“! Zudem gibt mir eine Gattung Colobopsis weitaus mehr Information als 110 unter Camponotus verteilte Arten, deren Verwandtschaft dann eben nicht mit einem Blick erkennbar ist. Insofern ist die Wiederauferstehung der Gattung Colobopsis ein richtiger Schritt. - Ich habe nur in meinem Leben bereits mehrfach solches Hin und Her erlebt, und finde es lästig und oft überflüssig.

Es war zunächst ein „Stoßseufzer“ über die geschilderten Folgen solcher Umbenennungen. - Eine Bibliothek (so eine mit realen Büchern im Regal) kann man nach diversen Kriterien sortieren: Grob nach Themenkomplexen, darin jeweils nach Autoren, darin nach Erscheinungsjahr, etc. - Sortiert man so eine Bibliothek um, etwa nach Autoren, darin nach Thematik, Jahr etc., gibt es ein arges Durcheinander. Mit dem Computer lassen sich unabhängig vom System alle Bücher aller Autoren auffinden. Das trifft auch für biologische Arten und höhere Gruppen zu, egal ob sie im Linnéschen System oder in einem anderen geordnet sind. Doch ohne Computerhilfe ist man evtl. arm dran.

Linné 1758 hatte naturgemäß keine Ahnung von Evolution (Darwin „On the origin of species“ kam erst 1859, Gregor Mendels Vererbungsregeln wurden erst um 1900 publik). So konnte Linné die ihm bekannten Lebensformen „nur“ aufgrund äußerer bzw. leicht erkennbarer innerer Merkmale nach Ähnlichkeit anordnen. Das System hat im Laufe der Zeit viele kleinere und größere Änderungen erfahren müssen, blieb insgesamt dennoch weitgehend stabil. Die Molekulargenetik hat das bis zur Entwicklung dieser Technik entstandene System ja auch weit überwiegend bestätigt. Notwendige Namensänderungen erfolgten entsprechend den Int. Nomenklaturregeln.

Damit haben Ward et al. (2015) gebrochen (so wie viele andere Autoren in den verschiedensten Organismengruppen).
Über das neue System der Myrmicinae von Ward et al. haben wir hier im AP seit Juli 2014 berichtet und diskutiert.
Seifert et al. 2016 (Banning paraphylies and executing Linnaean taxonomy is discordant and reduces the evolutionary and semantic information content of biological nomenclature) kennt Phil natürlich;
hier im AP haben wir auch darüber diskutiert. Angestoßen und wesentlich ausgearbeitet war der Artikel von B. Seifert; die folgenden Autoren sind dann alphabetisch angeordnet. Die Argumente halte ich für voll überzeugend!

Nun gibt es viele Autoren, die Ward et al. Folge leisten, andere machen sich unsere Sicht der Dinge zu eigen und behalten die traditionellen Gattungs- und Artnamen bei; es herrscht Durcheinander, Verwirrung, aber in jedem Fall müssen die Arbeiten von Ward et al. zitiert werden, um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, man kenne nicht die neueste Literatur.

Hier setzt nun meine hauptsächliche Kritik an: Ward et al. bringen keine neueren Erkenntnisse zur Biologie der betroffenen Artengruppen; im Gegenteil: Gut umschriebene und unzweifelhaft monophyletische Gruppen wie Myrmoxenus bzw. Chalepoxenus wurden aufgelöst, die Arten umbenannt, z. B. Teleutomyrmex schneideri Kutter, 1950 bis zur Unkenntlichkeit (als Tetramorium inquilinum Ward, Brady, Fisher & Schultz, 2014).
Ein Name beinhaltet Information (je nach Kenntnisstand der betr. Art oder Gattung unterschiedlich viel). Die Information zu Teleutomyrmex ist unter dem Gattungsnamen Tetramorium nicht, bzw. allenfalls auf Umwegen zu finden, vgl. die Diagnosen für Tetramorium bzw. deren „species groups“ im AntWiki.

Konsequent sind Ward et al. ohnehin nicht: Die Gattung Strongylognathus wurde beibehalten, obwohl sie nach den molekularen Befunden in Tetramorium hätten eingegliedert werden müssen. Sie haben das absichtlich vermieden, wegen der daraus resultierenden unzähligen Umbenennungen. Alle Tetramorium-Arten hätten dann nämlich Strongylognathus spp. werden müssen.

Ein „Stammbaum“ verzweigt sich quasi fraktal, mit dem Unterschied, dass die weit überwiegende Zahl der „Enden“ irgendwann von grauer Vorzeit bis hin zur rezenten „Oberfläche“ verschwunden sind (die wenigsten davon hinterlassen Fossilien). Von zeitweiligen Aufspaltungen und nachfolgender Wieder-Verschmelzung von Populationen ganz abgesehen. Oder Polytomien z. B. durch Verinselung bei Meeresspiegelanstieg, oder auf Gebirgsketten bei Klimaerwärmung etc.
Wie viele „Verzweigungen“ gab es seit der einen „Urameisen“-Art in den ca. 110 - 130 Mio Jahren bis zu den heute bekannten ca. 14.000 Arten (plus der vermutlich noch zahlreicheren ausgestorbenen)?
Man stelle sich einen derart verzweigten und verästelten „Baum“ vor (wir sehen fast nur die Oberfläche der „jüngsten“ Zweige = rezente Arten). Ab welcher „Tiefe“ setzen wir die Grenze für die Gattung an, und für die höheren Kategorien? - Weit unten ziehen wir eine (gewölbte) Ebene für die Unterfamilien ein, ganz unten steht die Familie Formicidae, wo sie aus dem dicken Ast der Ordnung Hymenoptera abzweigt.
Ist es da nicht doch willkürlich, wo man die Ebene der Gattung einzieht, und wo man alle (anscheinend) später entstandenen (oft in sich monophyletischen!) Artengruppen (= „ehemalige“ Gattungen) auflöst und deren Arten in den Topf der vermuteten Stamm-Gattung einrührt?

Es hatte doch wohl Gründe, weshalb die älteren Entomologen Kategorien wie Unterarten,Untergattungen, Tribus, Subtribus etc. benutzt haben. Wo noch nicht einmal eine allgemein akzeptierte Artdefinition existiert, wo es auch m. W. keine feste Regel für die Abgrenzung von Gattungen gibt, kann man natürlich ein System der Formicidae nach eigenem Gutdünken aufstellen. Als allgemein verbindlich kann man es nicht gültig vorschreiben!

Was wissen wir durch die Neugliederung mehr über die betroffenen Artengruppen? Phil, Du sagst dass wir jetzt mehr über die Verwandtschaftsbeziehungen von Colobopsis und anderen Gattungen zu Camponotus wissen. Doch lassen sich daraus weitere Erkenntnisse ableiten bzw. erwarten?
Natürlich ist es absolut in meinem Sinne, dass Colobopsis und die anderen Gattungen als solche erhalten bleiben (s. o.). Andernfalls hätten wir ähnliche Probleme wie Ward et al. sie mit der Einbeziehung der Sozialparasiten-Genera in die Gattung Temnothorax erzeugt haben.

Aber vielleicht hat Phil Ward sich unsere Kritik (Seifert et al. 2016) bereits zu Herzen genommen und allzu radikale Umbenennungen bei den Formicinae vermieden? Die Inhalte unserer Veröffentlichung wurden ja schon lange vor Erscheinen der Arbeit (in Ins. Soc.) unter Fachkollegen diskutiert, Phil Ward oder einem seiner Mitarbeiter vielleicht sogar als Gutachter zugesandt?

MfG,
Merkur
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